Der Himmel ist wolkenverhangen, die Luft feuchtkalt. Kein Wetter, das zu einem Sprung ins eisige Wasser einlädt. Doch in Hahnbach gibt es 133 Begeisterte, die ihren Feiertag im Januar genau so verbringen wollen. Und ich bin eine von ihnen.
Die Aussicht, in einen Fluss mit gerade mal zwei Grad Wassertemperatur zu steigen, ist für mich eher Nervenkitzel als Vergnügen. Doch ich stelle mich der Herausforderung und begleite die Wasserwacht Kümmersbruck beim Winter-Vilsschwimmen im Januar. Los geht es mit einem herzhaften Weißwurstfrühstück in einer nahegelegenen Gaststätte. Der Saal ist voll, die Stimmung ausgelassen. Ich höre Geschichten von vergangenen Jahren, in de die Vils komplett zugefroren war, und von früheren Startern, die wegen falscher Ausrüstung auf halber Strecke aufgeben mussten. „Wird schon nicht so schlimm“, versichert mir Jens Günther, der Vorsitzende der Wasserwacht Kümmersbruck, der mir bei diesem Abenteuer zur Seite steht.
Nach dem Frühstück beginnen die Vorbereitungen im Hahnbacher Hallenbad. Schon das Anziehen des Neoprenanzugs ist eine eigene Disziplin. Alles eng, nichts will so recht an seinem Platz bleiben. Anzug, Eisweste mit Kapuze, Handschuhe und Wasserschuhe: Meine Bewegungsfreiheit ist ab diese Zeitpunkt nicht mehr gegeben
Erst gegen 13.30 Uhr begeben sich alle gemeinsam zum Einstiegspunkt an der Vils. Es wird sich gegenseitig motiviert und gut zugesprochen. Alte Freund der verschiedenen Wasserwacht-Ortsgruppen treffen sich. Man merkt: Die Aktion ist ein großes Miteinander. Alle haben Spaß und sind voller Vorfreude. Hier und da werden Schneebälle über große und kleine Distanzen abgefeuert. Ich sehe Teilnehmer mit Flossen, Poolnudeln und sogar Schwimmringen. Jetzt wird mir klar: Der Spaß steht hier im Vordergrund. Auf den Brücken, die über die Vils führen, haben sich bereits einige Zuschauer eingefunden. Je näher der Startschuss rückt, desto mehr warm eingepackte Schaulustige versammeln sich am Ufer. Auch zwei meiner Kolleginnen haben sich an diesem kalten Januartag bereit erklärt, mich bei meinem Ausflug zu begleiten. Mit so viel Unterstützung hätte ich nicht gerechnet – sie treibt mich zusätzlich an und weckt meinen Ehrgeiz.
Als der Startschuss um 14.00 Uhr fällt bin ich schon leicht durchgefroren – und dabei habe ich das kalte Wasser noch nicht einmal berührt. „Gute Abkühlung und viel Spaß“, wünscht die Organisatorin des 44. Winter-Vilsschwimmen nach ihrer kurzen Ansprache. Nahezu alle Teilnehmer sind mittlerweile aufgeregt – und ich noch nervöser. Vorsichtig taste ich mich in die Vils, zuerst nur mit den Füßen. Jens, als erfahrener Teilnehmer, gibt mir einen Tipp: „Lass deine Hände erst mal aus dem Wasser, die kühlen sonst sofort aus.“ Die ersten Meter wate ich durch die Vils und lasse meinen Oberkörper und meine Arme zunächst noch an der Luft. Später, wenn der Wasserstand höher wird – der Flusspegel liegt am tiefsten Punkt bei 1,78 Meter – tauche ich nach und nach immer mehr unter. Ein seltsames Gefühl als die Nässe in den Anzug läuft, doch es wird schnell angenehm, denn die Körperwärme erwärmt das Wasser im Anzug.
Manche aus unserer Gruppe legen sich auf den Rücken und lassen sich treiben – mit Flossen ein Kinderspiel. Ohne Flossen, wie in meinem Fall, ist das etwas anstrengender. Aber die Strömung ist heute auf unserer Seite, was das Ganze erleichtert. Ich wechsle zwischen Gehen und Schwimmen, mal Rücken-, mal Brustschwimmen. Die Strömung ist eine große Hilfe, aber die Bewegungseinschränkung durch den Neoprenanzug bleibt eine Herausforderung. An meinen Füßen und Händen spüre ich mittlerweile die Kälte. „Das ist normal, die Extremitäten kühlen als Erstes aus“, nimmt mir Jens meine Sorgen. „Erst wenn dir am ganzen Körper kalt ist, wird es lebensgefährlich. Aber wenn dein Neopren richtig passt und du immer unter Wasser bleibst, damit das warme Wasser nicht abfließt und kaltes nachkommt, ist das kein Problem.“ Gleichzeitig sorgt ein Teilnehmer ohne Handschuhe für erstaunte Blicke.
Nicht alle kommen mit den Bedingungen zurecht. Wer den falschen Anzug trägt, kommt schnell an seine Grenzen und eine Unterkühlung droht. Hier ist die einzige Lösung, das Wasser schnellstmöglich zu verlassen und sich von den bereitstehenden Fahrzeugen zurück ins warme Hallenbad fahren zu lassen. Diesen Weg müssen ab der Hälfte der Strecke einige Mitstreiter wählen. Die Enttäuschung ist ihnen dabei anzusehen – doch die Sicherheit geht vor.
Alle anderen motivieren sich gegenseitig. „Nur noch zwei, drei Kurven“, ruft jemand lachend. Doch bald ist mir klar: Das kann nicht stimmen. Wir überwinden eine Kurve nach der anderen, machen Scherze und bleiben gut gelaunt. Zugegeben: Die Strecke zieht sich, und ich habe keinerlei Zeitgefühl dafür, wie lang wir schon unterwegs sind und wie weit es noch ist.
Nach insgesamt etwa 45 Minuten und zwei Kilometern erreichen wir das Ziel und den Ausstieg. Der Empfang ist herzlich – auf uns warten warme Getränke und aufmunternde Worte. Ich fühle mich erschöpft, aber glücklich. Die Kälte hat meinen Körper durchdrungen, aber die Stimmung ist so gut, dass ich es kaum merke. „Wir müssen jetzt schnell weiter, bevor wir an der Luft komplett auskühlen“, erklärt Jens und treibt mich an. Nachdem wir von der Feuerwehr mit sauberem Wasser abgespritzt wurden, steigen wir direkt in ein Auto der Wasserwacht und werden zum Hallenbad zurück transportiert. Dort wartet die nächste Belohnung auf uns: eine warme Dusche. Manche der Teilnehmer schwimmen zuvor noch ein paar Bahnen im Schwimmbecken um sich zu akklimatisieren und aufzutauen. Ich entscheide mich direkt für das warme Duschwasser. Das Ausziehen Neoprens ist ein erneuter Kraftakt, aber die Wärme danach macht alles wieder wett. Zu meiner Überraschung ist das Wasser, das sich in meinem Neoprenanzug angesammelt hatte, warm. Auch meine Haut fühlt sich keinesfalls kalt an.
Am Nachmittag findet die Siegerehrung statt. Alle Mitstreiter erhalten eine Urkunde, die drei Mannschaften mit den meisten Teilnehmern bekommen einen Pokal, der älteste Schwimmer, der 73-jährige Reinhard von der Kümmersbrucker Wasserwacht, erhält zusätzlich ein Präsent. Die Stimmung ist ausgelassen und mir wird bewusst: Das Winter-Vilsschwimmen ist mehr als nur ein Sprung ins kalte Wasser. Es ist eine Herausforderung, ein Gemeinschaftserlebnis, ein riesiger Spaß. Die Mischung aus körperlicher Anstrengung, Nervenkitzel und Humor macht das Event besonders. Und trotz der Kälte steht für mich fest: Ich war nicht das letzte Mal dabei – aber nächstes Mal mit Flossen!