Mit 34 Jahren gehört sie zu den Gesichtern des deutschen Rollstuhlbasketballs. EM, WM, Paralympics – wenn irgendwo um Medaillen gespielt wird, ist Svenja Mayer mittendrin
Auf dem Feld ist Svenja Mayer Strategin, Kämpferin, Teamplayerin – abseits davon eine Frau mit klarer Meinung, viel Humor und erstaunlicher Leichtigkeit. Im Gespräch erzählt die Ambergerin warum sie ihr früheres Leben nicht vermisst, was Rollstuhlbasketball so besonders macht – und wieso es mehr als nur ein Sport ist.
Svenja, 2011 wurdest du schwer verletzt und bist seither querschnittsgelähmt ...
… ich wollte mit dem Fahrrad eine Ampel überqueren, als ein rechtsabbiegender LKW mich übersehen hat. Er hat mich mit dem Führerhaus vom Fahrrad geholt und ist mir mit dem Aufleger übers Becken gefahren. Ich war schwerst und lebensbedrohlich verletzt, verlor sehr viel Blut und die OP, die mein Leben gerettet hat, hat Stunden gedauert. Zudem lag ich lange im künstlichen Koma. Danach folgte ein Jahr im Krankenhaus, 54 Operationen und ein kompletter Neustart ins Leben. Ich habe seitdem einen inkompletten Querschnitt und jeden Tag Schmerzen, aber ich habe gelernt mein Leben neu anzunehmen und mir neue Ziele zu stecken.
Wie kamst du zum ersten Mal zum Rollstuhlbasketball?
Ich wurde das erste mal in der BG Unfallklinik in Murnau darauf aufmerksam. Auf der Querschnittstation wurde ich dort auf mein neues Leben vorbereitet. Meine eigentliche Leidenschaft war damals und ist heute noch der Reitsport. Rollstuhlbasketball fand ich anfangs absolut uninteressant. Ich wollte einfach nur zurück aufs Pferd, was ich auch glücklicherweise wieder erreichen konnte. 2014 hatte ich dann aber leider einen Abszess am Sitzbein, was nochmal eine schwere Operation und einen langen Klinikaufenthalt nach sich zog. Danach war reiten nicht mehr möglich und ich musste mir einen anderen Sport suchen. In Amberg gab es zum damaligen Zeitpunkt eine Rollstuhlbasketballmannschaft – dort habe ich es noch einmal ausprobiert. Irgendwie fand ich es dann doch nicht mehr so schlecht und so habe ich mir mit viel Ehrgeiz und Willen erarbeitet, für die deutsche Nationalmannschaft spielen zu dürfen.
Was macht diesen Sport für dich aus?
Er ist körperlich total fordernd, aber auch taktisch muss man sich immer weiterentwickeln. Basketball ist wie Schach spielen: Du brauchst eine Strategie und Technik – aber auch Kraft und vor allem ein riesiges Herz. Du kannst alleine nichts reißen – nur als Team funktioniert´s. Und das liebe ich so an diesem Sport.
Was war der Moment, in dem du wusstest: „Das ist mein Sport“?
Dieser Moment kam tatsächlich sehr spät. Aber logischerweise spätestens als ich zum ersten Sichtungslehrgang der Nationalmannschaft eingeladen wurde. Denn ohne Herzblut so viel zu investieren, wäre unmöglich gewesen.
Wie viel Disziplin braucht es, um auf deinem Niveau zu spielen – und wo gönnst du dir bewusst Pausen?
Tatsächlich ist Disziplin das A und O. Ohne Ehrgeiz, Willen und Durchsetzungsvermögen funktioniert es kaum. Pausen sind oftmals nicht möglich, ich war jahrelang nicht mehr im Urlaub. Nach acht Jahren Leistungssport merke ich aber, dass ich auch mal auf meinen Körper achten muss. Ich habe es erst lernen müssen, dass Pausen und Regeneration genauso wichtig sind wie Training. Jetzt gönne ich mir Abende oder Wochenenden mit Dingen, die mir gut tun und das ganz ohne schlechtes Gewissen.
Welche Rolle spielt mentale Stärke in deinem Sport und was hilft dir, den Kopf frei zu kriegen?
Ohne mentale Stärke ist man dem Sport in meinen Augen nur schwer gewachsen. Gerade bei großen Turnieren muss man dem Druck standhalten können. Wir haben als Team aber auch immer eine Sportpsychologin dabei, ob im Trainingslager oder bei Wettkämpfen, damit wir bestmöglichst betreut sind und Dinge, die uns beschäftigen, sofort aufarbeiten können. Ich bin somit auch regelmäßig in sportpsychologischer Betreuung.
Man sagt, man wächst an seinen Niederlagen – welche hat dich sportlich am meisten geprägt?
Das war das Spiel um Bronze in Tokio bei den Paralympics 2020.
Rollstuhlbasketball ist taktisch, körperlich intensiv und schnell. Was unterschätzen die meisten Menschen an diesem Sport komplett?
Die Geschwindigkeit, Athletik und das Handling von Stuhl, Ball und Spielübersicht. Viele denken: „Da rollt man halt bisschen übers Feld.“ Aber es ist so viel mehr – der Korb hängt auf der selben Höhe wie beim Fußgängerbasketball, und auch die Regeln sind identisch. Es gibt viel Stuhlkontakt und Blocks … und das merkt man spätestens am nächsten Tag. Somit würde ich sagen, es ist Hochleistungssport.
Wenn du eines im Rollstuhlbasketball verändern dürftest – Regel, Ausstattung, Aufmerksamkeit: Was würdest du sofort tun?
Ganz klar: mehr mediale Aufmerksamkeit. Wir spielen zwar einen Behindertensport, aber diesen auf Weltklasseniveau. Leider wird das von der Gesellschaft zu wenig gesehen. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit, mehr Präsenz, mehr Wertschätzung.
Welche Regel im Rollstuhlbasketball verstehen Außenstehende am wenigsten – und was daran ist eigentlich genial?
Die Punkteklassifizierung. Außenstehende finden das kompliziert, aber sie sorgt für Fairness. Jeder Spieler bekommt Punkte je nach körperlicher Einschränkung. Die fünf Spieler am Feld dürfen die Maximale Punktzahl von 14 Punkten nicht überschreiten. Das ist taktisch super spannend. Außerdem ist Rollstuhlbasketball die inklusivste Sportart der Welt. Auf nationaler Ebene dürfen Behinderte und Nicht-Behinderte in einer Mannschaft spielen. Zudem spielen Frauen und Männer gemeinsam in einer Mannschaft. Nur international wird es wieder gesplittet: Da wird zwischen Männer und Frauen unterschieden.
Hast du ein Ritual oder einen festen Ablauf, ohne den du nie in ein Spiel gehst?
Ich meditiere und ziehe mich etwas zurück. Außerdem mache ich vor jedem Spiel in der Kabine ein Sudoku.
Du bist auf dem Feld eine der erfahrenen Spielerinnen – wie verändert sich dein Blick aufs Spiel mit den Jahren?
Früher war ich sehr verbissen und habe mit Fehlern oder Fehlwürfen lange gehadert. Heute sehe ich es glücklicherweise lockerer. Mit der Zeit kommt die Erfahrung und die Routine – das erleichtert einiges und macht dich in entscheidenden Momenten stärker.
Was ist dein Signature-Move auf dem Feld?
Da gibt es keinen. Aber mich zeichnen meine Schnelligkeit und meine Defense aus. Ich liebe es Stuhlkontakt zu haben – es fühlt sich oft an wie Autoscooter (lacht).
Was war bisher dein emotionalster Moment?
Das erste Mal die Nationalhymne singen zu dürfen, hat sich bei mir emotional sehr eingeprägt.
EM, WM, Paralympics – so viele Turniere, so viele Städte: Gibt es einen Ort, bzw. ein Spiel, das für dich heraussticht?
Meine ersten Paralympics in Tokio 2020 waren sehr emotional für mich. Als Sportler stehen die Paralympics einfach über allem und es war mein großer Traum, teilnehmen zu dürfen. Die Eindrücke und Erlebnisse, die ich dort sammeln durfte, werde ich nie wieder vergessen und sind einzigartig – trotz der Corona-Maßnahmen. Wir hatten die ersten Gruppenspiele alle gewonnen, das Halbfinale und das Spiel um die Bronze-Medaille dann leider verloren. Damit hatte ich sehr zu kämpfen. Der Sport kann einen so unfassbar beflügeln, aber im Gegenzug dann auch sehr in den Abgrund reißen. Somit würde ich sagen dies war das emotionalste Turnier für mich.
Was ist das Erste, das du nach einem Turnier machst, wenn du wieder zu Hause bist?
Ich genieße die Zeit mit meinem Hund und meinem Partner. Zeit für normale Dinge zu haben, das Haus zu putzen, im Garten zu arbeiten oder Zeit mit Freuden und Familie zu verbringen, ist mir dann besonders wichtig.
Was ist die größte Herausforderung als Profisportlerin, die nichts mit Training oder Wettkampf zu tun hat?
Eigentlich bin ich immer im Tetris-Modus. Das ist die Kehrseite im Leistungssport. Man muss sehr oft Opfer bringen und meistens bleiben meine Familie und Freunde auf der Strecke.
Du sagst, du wünschst dir dein altes Leben nicht zurück – was an deinem neuen Leben liebst du am meisten?
Ich nehme Menschen anders wahr, schätze Kleinigkeiten viel mehr und habe durch den Unfall unfassbar tolle Menschen kennen lernen dürfen. Kann mir Träume und meine Wünsche verwirklichen, an meinen Zielen arbeiten und durch den Sport die ganze Welt bereisen. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, mein Leben läuft perfekt – aber ich bin froh, am Leben zu sein.
Wenn du deinem 19-jährigen Ich eine Nachricht schicken könntest – was würdest du schreiben?
Auch aus Rückschlägen kann so viel Tolles entstehen!