Der Wind ist kühl, die Luft dünn, der Pfad steinig. Das Ziel: das Mount Everest-Basecamp. Für die Sulzbacherin Heinke Scheel ist es mehr als eine sportliche Herausforderung. Sie verteilt Geldspenden in den höheren Lagen Nepals und Patan.
Was als Idee zwischen Freunden entstand, wurde zu einer ganz persönlichen Reise. Unter dem Charity-Projektnamen „I see“ sammelt Heinke Scheel aus Sulzbach letztes Jahr Geldspenden, startet dafür diverse Aktionen, wirbt auf Instagram und macht sich im März 2025 schließlich selbst auf den Weg nach Nepal – nicht nur, um das gespendete Geld zu übergeben, sondern auch, um zu sehen, zu geben und zu verstehen.
Begleitet von drei Freunden und einem nepalesischen Bergführer, begibt sie sich auf eine siebentägige Trekkingtour zum Everest Basecamp. Die Berufsfotografin trägt dabei nicht nur einen dicken Schlafsack und Trekkingausrüstung mit sich, sondern auch 2500 Euro Spendengeld. Das Projekt steht unter einem einfachen, aber starken Gedanken: Menschen helfen Menschen – direkt, ohne Umwege, ohne Bürokratie. Statt Geld an große Organisationen zu überweisen, reist sie selbst nach Nepal, um zu sehen, wo Hilfe gebraucht wird – und diese dann persönlich zu übergeben.
Die Idee dazu entsteht ganz spontan: bei einem Gespräch mit einem Freund, der ein halbes Jahr in Nepal unterwegs war. Die Erkenntnis, wie viele Spenden auf dem Weg versickern, wie wenig tatsächlich ankommt, beschäftigt sie. Heinke beginnt zu recherchieren – und merkt schnell: sie will etwas ändern und selbst einen Beitrag leisten. Die geplante Trekkingtour zum Everest Basecamp bietet sich dafür geradezu an. Warum also nicht beides verbinden?
2024 wird zum Jahr der Vorbereitung: Spendenaktionen, Netzwerke aufbauen, Kontakte knüpfen. Über Social Media sucht sie nach lokalen Initiativen, die sie unterstützen könnte und über einen Freund findet sie den Kontakt zu Iswor, einem deutschsprachigen nepalesischen Bergführer. Er ist sofort angetan und will sie bei ihrem Vorhaben unterstützen. Gemeinsam planen sie die Route und informieren sich über Projekte vor Ort, Schulen und Einrichtungen entlang des Wegs. Sie wollen gezielt helfen – und direkt erleben, was die Spenden bewirken.
„Eine Spende zu geben ist manchmal gar nicht so einfach wie gedacht“, schreibt Heinke auf Instagram. Und doch wächst „I see“ schneller, als sie es zu hoffen gewagt hätte. Ihr Spendenziel von 5000 Euro erreicht sie im Laufe des Jahres beinahe problemlos – durch private Spenden, kleine Aktionen und ganz viel Engagement. Zur Werbung nutzt sie ausschließlich Instagram und Mundpropaganda – umso beeindruckender, dass auf diesem Weg insgesamt 6530 Euro zusammenkommen.
Aus einigen Yogastunden, die ihre Bekannte Chrissy leitet und Heinke fotografisch begleitet, fließen die Kursgebühren direkt ins Projekt. Bei Minishootingaktionen kommen weitere Beträge zusammen. Jonah, der kleine Sohn einer Freundin, verkauft selbstgebackene Muffins. Viele aus Heinkes Freundeskreis verzichten auf Geburtstagsgeschenke, um stattdessen zu spenden – sie alle machen das Projekt zu einem Gemeinschaftswerk. Doch auch unbekannte Privatpersonen füllen die Spendenbox. Die größte Spendensumme einer Person: 500 Euro.
Die Hilfsbereitschaft aus ihrem Umfeld treibt die Initiatorin der „I see“-Charity weiter an und bestätigt sie. Sie ist beeindruckt und dankbar für die große Unterstützung. „Ein Tropfen auf den heißen Stein, der dennoch viel bewegt“, so beschreibt die Sulzbacherin die Wirkung der Aktion. Am Ende spendet sie vorab 4030 Euro an „Haus der Hoffnung – Hilfe für Nepal e.V.“, ein von einer Deutschen gegründeter kleiner Verein in Kathmandu, die restlichen 2500 Euro tauscht Heinke in Rupien um und trägt sie bar im Rucksack durch die Berge Nepals.
Der Startpunkt liegt in Kathmandu. Von dort aus geht es für Heinke, Sophia, Daniel, Hubert und Iswor eher ungeplant statt mit einem Flugzeug, mit dem Jeep durch die kurvigen und unebenen Bergregionen nach Surke (2535 Hm), von wo aus die Gruppe zu Fuß weiterzieht: über Namche Bazar, Tengboche und Dingboche bis hin zum Basecamp auf 5364 Metern. Auf der insgesamt 120 Kilometer-Strecke gibt es keinen Tag Pause – sie ist fest geplant und doch unvorhersehbar.
Die Trekkingtour selbst ist eine besondere Reise: Nächte in fast unbeheizten Teehäusern bei minus zehn Grad, nur selten Duschen, kein Strom auf den Zimmern – und gleichzeitig diese Herzlichkeit. „Die Tour an sich war mega schön: die Landschaft, das Gefühl von Freiheit, für sich zu sein und vieles zu reflektieren – es war bereichernd.“
In allen Orten erlebt die Gruppe die Offenheit, Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Einheimischen. Angst, mit dem Bargeld unterwegs zu sein, hatte sie keine. „Wir waren zu fünft – und es wusste ja niemand, was ich dabei habe.“ Heinke hatte die Summe zuvor in kleine Päckchen in Kuverts aufgeteilt, um die Spenden einfacher übergeben zu können.
Wem wie viel gespendet wird, entscheidet sich spontan. In einem Dorf auf 2600 Höhenmetern folgen sie Schulkindern, deren Lehrer das Gespendete für Schulgeld und -utensilien nutzen wollen. Unterwegs treffen sie einen schwerschleppenden Lastenträger, den eine Spende von 80 Euro – für ihn ein Monatslohn – zu Tränen rührt. Ein Junge an einem Kiosk erzählt, er sei der Einzige in seiner Familie, der zur Schule gehen kann. Auch er bekommt Unterstützung. Zusätzlich erhält ein Zentrum für Kinder mit Downsyndrom eine Spende: Das Geld soll für Kleidung, Mahlzeiten und Bastelmaterial verwendet werden – Dinge, die im Alltag oft fehlen, aber viel bewirken können. „Es war mir wichtig, dass das Geld gut eingesetzt wird – für Bildung, Essen oder den Lebensunterhalt.“
Die Hilfsorganisation, an die die größte Einzelsumme bereits im Vorfeld ging, bedankte sich mit einer besonderen Geste: Auf einem Tisch präsentieren sie alles, was sie von der Spende kaufen konnten – sorgfältig aufgereiht, zum Greifen nah, sichtbar wirksam. Auch andere Spendeneinsätze bleiben hängen. Etwa die einer Schule, deren Lehrer von dem Geld Instrumente kaufen wollen. Sie möchten den Kindern mehr Abwechslung bieten, die Kultur ehren und durch Musik eine fundierte Ausbildung garantieren.
Warum sich die Spenden vor allem an soziale Einrichtungen richten, erklärt Heinke klar: „Es war so am besten angelegt. Bei Privatpersonen kann man oft nicht abschätzen, wie die Verhältnisse aussehen – man möchte auch nicht beleidigend sein.“ Zum Dank werden der Gruppe immer wieder weiße Khata-Schals umgehängt – traditionelle tibetische Ehrenschals. Sie stehen für Ehrerbietung, Dankbarkeit und Wertschätzung.
Obwohl „I see“ ihr erstes Charity-Projekt war, steht für Heinke fest: es war nicht das letzte. „Veränderung beginnt, wenn man einfach macht – und nicht alles zerdenkt“, sagt sie. Für eine zweite Reise gibt es noch keine konkreten Pläne, aber Ideen hat sie viele. Und gesammelt wird weiter. Vielleicht auch mal für Aktionen in anderen Ländern – oder hier vor Ort.
Beim nächsten Projekt möchte sie „I see“ noch sichtbarer machen – mehr Menschen erreichen, das Vertrauen stärken und das Spendenziel nach oben setzen. Sie ist überzeugt: Wer sieht, dass Hilfe ankommt, hilft auch gern. Und sie möchte zeigen, dass soziales Engagement kein Alleingang sein muss. „Man muss nicht alles allein starten – ich bin offen für gemeinsame Aktionen. Zusammen kann man noch mehr bewegen.“
Denn der Gedanke, der hinter all dem steht, begleitet sie schon lange: „Wir haben so viel – und brauchen oft so wenig, um glücklich zu sein. Es sind die kleinen Dinge, die zählen. Begegnungen, Emotionen, unsere Umwelt. Das echte Miteinander.“ Geben hilft nicht nur denen, die empfangen – sondern auch einem selbst.