Vom Alkoholiker zur Suchthilfe: Ein Amberger hat es geschafft | Amberg24

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31.08.2024
Ein Bier ist häufig der Anfang, kann aber in etwas Schlimmeren enden.  (Bild: Finn Winkler/dpa/Illustration)
Ein Bier ist häufig der Anfang, kann aber in etwas Schlimmeren enden. (Bild: Finn Winkler/dpa/Illustration)
Ein Bier ist häufig der Anfang, kann aber in etwas Schlimmeren enden. (Bild: Finn Winkler/dpa/Illustration)
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Ein Bier ist häufig der Anfang, kann aber in etwas Schlimmeren enden. (Bild: Finn Winkler/dpa/Illustration)

Vom Alkoholiker zur Suchthilfe: Ein Amberger hat es geschafft

Alkohol ist besonders in Bayern gesellschaftlich akzeptiert wie kaum ein anderes Suchtmittel. Wie schnell er aber zum Problem werden kann, weiß Jürgen Stengl vom Kreuzbund Amberg. Schließlich war er jahrzehntelang selbst betroffen.

Wenn Jürgen Stengl (64) über seine „Saufkarriere” redet, wie er es nennt, dann macht er das vor allem, um anderen damit zu helfen. Seit 2010 engagiert er sich ehrenamtlich beim Kreuzbund, einer Organisation der Caritas. Hier leitet er Selbsthilfegruppen für Betroffene, seit zehn Jahren ist er Regionalsprecher. Stengl kann die Herausforderungen einer Alkoholerkrankung gut nachvollziehen, denn er kämpft selbst seit seinen Zwanzigern damit.

Eine der ersten Eskapaden, an die er sich erinnert, war ein Fest bei der Bundeswehr. „Ein extravagantes Besäufnis.” „Das war das erste Mal, dass ich von Bier auf Weizen umgestiegen bin”, erzählt er im Gespräch mit Oberpfalz Medien. „Ich hatte bestimmt sieben, acht Weizen und dann bin ich noch heimgefahren. Das war damals so.”

Auf der Kirwa beim Schnapstrinken mithalten

Solche Erlebnisse nennt Stengl Einstiegspunkte, aber nicht den Auslöser für eine Alkoholsucht. Ein anderer war mit 15, 16, als er mit seinem Bruder eine Kirwa besucht hatte. „Da habe ich natürlich versucht, mit dem Schnapstrinken mitzuhalten.” Gedacht hatte er sich dabei nichts, warum auch, „es war doch immer schön, super.” Alkohol gehörte halt mit dazu. Man trank aus Gewohnheit, weil die anderen es ja auch taten. „Dabei habe ich nicht beachtet, wie viel ich wie oft trinke”, erinnert sich Stengl heute.

Alkoholkonsum war und ist in der Gesellschaft normalisiert. Unter Freunden, in der Familie, im Verein. Bei der Feuerwehr etwa. Ende der 1980er Jahre war Stengl dort Vorstand. Er organisierte Feiern, engagierte sich. Seine Familie stattdessen sah er nicht oft. „Ich war viel unterwegs. Und immer ist getrunken worden.” Nur: „Die einen haben es im Griff, die anderen nicht.”

Ein, zwei, fünf, sechs Bier

Die Beziehung zu seiner Frau, den Kindern und der ganzen Familie litt. Das führte zu Streitereien mit den Schwiegerleuten. „Ich habe mich abgestoßen gefühlt.” Es ging so weit, dass ihn seine Schwiegermutter nicht mehr beim Vornamen nannte. „Sie hat nur noch Stengl zu mir gesagt”, erzählt der 64-Jährige. Statt zuhause war er immer öfter im Wirtshaus. „Da war es schöner.” Aus dem Feierabendbier wurde Dämmerschoppen, erst ein, zwei, dann fünf, sechs, „irgendwann war das Abendessen daheim vorbei”. Die Scheidung folgte 1999.

Der Konsum steigerte sich schleichend, aber er steigerte sich massiv. Seinen Führerschein verlor Stengl 2001, nur wenige Meter vor seinem Haus erwischte ihn die Polizei mit 0,003 Promille zu viel. Auf Montage – Stengl ist Elektriker – fuhr er von da an mit dem Zug. „Das war ein super Gefühl, morgens schon am Bahnhof ein Bierchen zu trinken. Und auf dem Heimweg erst recht.”

Panikattacke oder Entzug?

Stengl ist froh, körperlich einigermaßen unbeschadet aus der Zeit gekommen zu sein. Später hatte er einen Schlaganfall und Krebs, was beides nichts mit dem Alkohol zu tun hatte. Spurlos ist er aber auch nicht an ihm vorbeigegangen.

Ein deutliches Zeichen, dass er alkoholsüchtig ist, bekam der heute 64-Jährige 1995. „Ich bin mit dem Auto gefahren, mit meinen beiden kleinen Kindern, 100 Meter vor einer Ortschaft. Ich weiß noch, da war es so heiß.” Plötzlich bekam er etwas, das er als Panikanfall deutete. Sein Gesicht und seine Hände verkrampften sich, er musste rechts ranfahren. Gerade so konnte er noch herauspressen, dass seine Kinder in der Ortschaft Hilfe holen sollen. Sein erster Gedanke im Sanka: „Hoffentlich bin ich um vier wieder zuhause, ich muss zum Schafkopf.” Im Nachhinein ist ihm klar, dass das keine Panikattacke wegen der Hitze war, sondern ganz klar Alkoholentzug.

Keinen Bock mehr

Trotzdem brauchte es noch mehr als zehn Jahre, bis sich Stengl mit 48 Jahren ganz plötzlich dafür entschied, einen Entzug zu machen. An einem Nachmittag im Frühsommer 2007, im Zug auf dem Heimweg, rief er seine neue Frau an und sagte ihr, sie solle einen Termin beim Arzt ausmachen, er habe keinen Bock mehr.

Montagmorgen begann die Entgiftung im Krankenhaus in Sulzbach-Rosenberg, am Sonntagabend hatte Stengl nochmal zehn Weizen. Im Krankenhaus katerte er dann aus. „Mir hat ja eigentlich nichts gefehlt, deswegen bin ich längere Zeit auf dem Flur gelegen. In dem Moment war es mir egal, aber hinterher habe ich mich dafür geschämt, mit so einem verzogenen Gesicht dort gelegen zu haben und alle sind vorbeigekommen.”

24 Wochen Therapie

Dann gingen 24 Wochen Langzeittherapie in Furth im Wald los. Hier lernte er, mit der Sucht umzugehen, mit seinen Ängsten und Fehlern. Er brachte sein Berufsleben auf Vordermann und fing bald an, sich in den Gruppen zu engagieren. „Es war eine klasse Erfahrung, die hat mich ins Leben zurück gebracht. Ich konnte viel Erlerntes mit nach Hause nehmen und meine körperliche Verfassung hat sich dermaßen geändert.” Seit 2017 ist Stengl erfolgreich abstinent.

Da gehört vor allem die Nachsorge dazu. „Die Chance, sich zu halten ist sehr gering. Manche sagen, Alkoholismus ist die einzige Krankheit, die man nicht heilen kann.” Im Ehrenamt hat Stengl Menschen kennengelernt, die schon das sechste, siebte Mal in der Klinik sind, „alle Vierteljahr”. Das Wichtigste, um abstinent zu bleiben, ist ein stabiles Umfeld und genug Unterstützung, findet er. Mit seiner zweiten Frau, die er in seiner „nassen” Zeit teils sehr schlecht behandelt hat, ging er bis 2015 zur Paartherapie. „Eine Partnerschaft ist sehr wichtig, um trocken zu bleiben.”

Hintergrund

Der Kreuzbund Amberg

  • Ziel: Selbsthilfe- und Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige
  • Hintergrund: Caritas Diözesanverband Regensburg
  • Aber: Offen für alle, Fokus auf Selbsthilfe und Hilfe nach der Therapie
  • Gruppen: Vier Gruppen in Amberg, eine in Hirschau, verschiedene Themen und Aktivitäten
  • Weitere Informationen: www.kreuzbund.de

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