Depressionen sind eine ernst zunehmende Krankheit und dennoch noch immer ein Tabu-Thema. Betroffene meiden es, offen über ihre Depression zu reden oder aktiv Hilfe zu suchen. Ein Ambergerin spricht über das Thema und über ihr Leben damit.
„Es ist ein Monsterchen, das mir permanent auf der Schulter sitzt”, erzählt Julia (Name von der Redaktion geändert). „Manchmal wird es schwerer, manchmal leichter”, sagt die 27-jährige Ambergerin. Das „Monster” begleitet Julia bereits seit knapp acht Jahren. Es hat einen Namen: Depression: Eine psychische Erkrankung, die laut der Arbeitsgemeinschaft der „Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaft” (AWMF) als „Zustand deutlich gedrückter Stimmung, Interesselosigkeit und Antriebsminderung” gekennzeichnet ist. Betroffenen wie Julia gelingt es nicht mehr, alltägliche Aufgaben zu lösen. Sie leiden zudem häufig an Selbstzweifeln sowie Schlafstörungen. Eine Depression kann sich durch viele weitere körperliche und psychische Anzeichen äußern. Bei Julia traten diese Merkmale im Alter von 19 Jahren auf. Gerade frisch von Zuhause ausgezogen, kurz vorm Abschluss der Ausbildung lief es bei ihr nicht so, wie erhofft: „Ich konnte nicht mehr aufstehen, wollte nicht mehr duschen, so die typischen Symptome”, erzählt sie und fügt an: „Ich musste nur noch weinen.”
Die einzige Person, die sie in dieser Lebensphase erreichen konnte, war ihre Mama. Beiden war klar, irgendetwas stimmte nicht. „Ich musste komplett aus meinem Umfeld raus, alles ändern und zu mir finden”, erzählt sie. Eine Woche vor ihrer Gesellenprüfung zur Friseurin kam die Zusage der Uni-Klinik Regensburg – ein halbes Jahr, nachdem sich die Depression zum ersten Mal bemerkbar gemacht hatte. Der erste Klinik-Aufenthalt brachte aber nicht den erhofften Erfolg, auch weil Julia der Therapie nur wenig Chancen gab. „Ich hatte zu diesem Zeitpunkt einen Freund und dachte, das wird wieder”, sagt sie. Bereits nach fünf Wochen in der Klinik schloss sie die Therapie vorzeitig ab – Zuhause fiel sie aber erneut in ein tiefes Loch. Zwei Wochen später ging es wieder in die Klinik, zu diesem Zeitpunkt nahm sie die Therapie ernster: „Ich saß mit gepackten Koffern in der Wohnung und habe jeden Moment auf den Anruf gewartet.”
Julias Depression ist noch da, allerdings nimmt sie seit drei Jahren keine Medikamente mehr. Die sogenannten Antidepressiva hat sie abgesetzt. Der Weg dorthin war lang und bestand aus einem weiteren Klinikaufenthalt, Medikamenten und Gesprächstherapie. Auch in der Amberger Tagesklinik ist sie heute noch regelmäßig. „Man muss dran bleiben”, erklärt sie. Besonders die Gespräche mit ihrem Therapeuten sind für sie sehr wichtig. „Ich hatte Glück, einen passenden Psychologen zu finden. Einen, der zu mir passt”, erzählt sie.
Lange Wartezeiten, viele Erstgespräche und zu wenig Therapieplätze erschweren Betroffenen die Suche nach schneller Hilfe bei psychischen Problemen. Bereits vor der Corona-Pandemie waren laut Bundeskammer der Psychotherapeuten zu wenig Therapieplätze vorhanden. 40 Prozent der 300.000 Betroffenen mussten im Jahr 2019 länger als drei Monate auf eine Behandlung warten. Bis heute ist die Nachfrage höher als das Angebot.
Bei Julias Erkrankung handelt es sich nicht um eine depressive Verstimmung, die wieder abklingt. Das kleine „Monster” bleibt auf ihrer Schulter sitzen. Mal ist es stärker, mal schwächer. Rückblickend ist ihr aber auch bewusst, dass sich die Depression schon vor dem „großen Loch” äußerte. Ihre Gefühle konnte sie schon immer schwer teilen und darüber sprechen, viel mehr fraß sie Probleme in sich rein: „Ich wusste, wenn man traurig ist, wie man sich dann verhält, aber das war nur angeeignet. Ich hatte dann auch immer dieses beklemmende Gefühl in der Brust, es ist irgendwann auf den Körper gegangen. Ich hatte Magenprobleme und diesen Druck immer alles richtigzumachen, dass ich funktionieren muss”, erzählt sie. Gemeinsam mit ihrem Therapeuten erarbeitete sie Techniken, um mit der Depression besser umgehen zu können. Sie definierten Werte und Ziele, die Julias bis heute als Wegweiser dienen.
Für die 27-Jährige ist es noch immer wichtig, die „Depression anzunehmen”. Dagegen anzukämpfen, mache nur wenig Sinn. „Dann kommt man nicht weiter”, sagt sie und ergänzt: „Man braucht eine Stütze, man schafft es nicht alleine.” Mit anderen Betroffenen aus ihrer Zeit in der Klinik hält Julia Kontakt: „Das wird einem auch geraten, weil du dich einfach austauschen kannst und nicht immer erklären musst”, sagt sie. Mittlerweile habe sich mit einer Betroffenen eine gute Freundschaft entwickelt, in der sich beide Frauen gegenseitig unterstützen. Empathie ist ihrer Meinung nach das „A und O” im Umfang mit Betroffenen: „Manchmal reicht es, wenn Menschen einfach nur da sind und deine Situation ernst nehmen”, erklärt die 27-Jährige.
Nicht nur ihr engster Kreis ist für Julia ein großer Halt. Mops-Dame Ivy ist ihr Rückhalt, wenn Freunde und Familie sie nicht mehr erreichen und sie ihre Ruhe braucht. „Für mich ist sie eine große Unterstützung und auch meine Familie fühlt sich wohler, wenn sie wissen, dass mein Hund auf mich aufpasst”, erklärt sie. Die enge Verbindung zu ihrem Hund hat sie anfangs überrascht. Seit 2017 ist der Hund an Julias Seite: In schweren Phasen oder Panikattacken war die tierische Begleiterin da und holte Julias zurück in die Realität: „Wenn Ivy merkt, dass es mir schlecht geht und ich abdrifte, bellt sie mich an, hilft das nicht, schleckt sie mir über das Gesicht.” Zudem gab sie der Ambergerin, wichtige Routinen, die ihr helfen den Alltag zu bestreiten.
Heute arbeitet Julias als Kinderpflegerin für autistische Kinder. „Die sind so ehrlich und dankbar, auf die Kids muss man sich komplett konzentrieren”, erzählt sie. Die Arbeit macht Spaß und einen guten und sinnvollen Grund, morgens aufzustehen. Ihre Ausbildung als Friseurin hat sie nicht abgeschlossen. Insgesamt vier Jahre konzentrierte sich Julias auf ihre Therapie und lernte, mit der Depression zu leben. Sie setzte sich Ziele, wollte wieder arbeiten. Nach einer kurzen Eingliederung in ihren alten Job entschied sich für einen Jobwechsel. Sie wollte anderen Menschen helfen, der Job beim Friseur erschien ihr zu oberflächlich. Erst arbeitete sie im Altenheim und als Schulbegleitung, dann begann sie die Ausbildung zur Kinderpflegerin. Sie schloss diese trotz einiger Selbstzweifel ab. Für Julias ist dies bis heute die richtige Entscheidung.
Freunde, Familie und ihr kleiner Mops begleiten sie weiterhin in ihrem Leben. Auch das kleine „Monster” ist noch immer dabei, doch die 27-Jährige hat gelernt, damit zu leben, offen darüber zu sprechen und mit ihrer Geschichte anderen Betroffenen Mut zu machen.