Arbeiten in der KZ-Gedenkstätte: Ein Job, der negativ und positiv bewegt | Amberg24

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03.05.2023
Als Bundesfreiwillige und Volontär arbeiten Michal und Rene in der KZ-Gedenkstätte. (Bild: Marina Gube / Grafik: Redaktion Magazine)
Als Bundesfreiwillige und Volontär arbeiten Michal und Rene in der KZ-Gedenkstätte. (Bild: Marina Gube / Grafik: Redaktion Magazine)
Als Bundesfreiwillige und Volontär arbeiten Michal und Rene in der KZ-Gedenkstätte. (Bild: Marina Gube / Grafik: Redaktion Magazine)
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Als Bundesfreiwillige und Volontär arbeiten Michal und Rene in der KZ-Gedenkstätte. (Bild: Marina Gube / Grafik: Redaktion Magazine)

Arbeiten in der KZ-Gedenkstätte: Ein Job, der negativ und positiv bewegt

Michal und Rene arbeiten in der KZ-Gedenkstätte. Als Bundesfreiwillige und Volontär sind beide die jüngsten im Team. Ihre Arbeit in Flossenbürg bewegt, nicht nur Michal und Rene.

Die Stimmung im ehemaligen Konzentrationslager Flossenbürg ist gedämpft. Eine Schulklasse macht gerade einen Rundgang auf dem Gelände. Dort und in zahlreichen Außenlagern sind bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. zirka 30.000 Menschen gestorben. Für zwei Personen vor Ort ist die Gedenkstätte Flossenbürg aber mehr als nur ein Ausflugsziel, es ist ihr Job: Rene Wennmacher und Michal Bordne sind die jüngsten Mitarbeitenden in Flossenbürg. Der 26-jährige Rene ist als wissenschaftlicher Volontär beschäftigt, die 19-jährige Michal leistet ihren Bundesfreiwilligendienst in der Oberpfalz. Die Arbeit in der Gedenkstätte ist vielseitig. „Zu meinen Grundaufgaben gehört das Antworten auf Anfragen, das finde ich besonders spannend, weil man so in Kontakt mit Überlebenden oder Angehörigen kommt“, sagt Rene. Auch die Organisation von Rundgängen sowie Pressearbeit sind ein Teil des Jobs. „Zudem gibt es immer wieder Projekte wie die Arbeit im Depot“, fügt Michal an.

Hier werden Gegenstände, beispielsweise Zeichnungen oder Skulpturen, die im Zusammenhang mit Flossenbürg stehen, archiviert. Jedes Objekt hat eine eigene Geschichte, wurde von Häftlingen angefertigt und spiegelt die Zeit des Holocausts auf seine eigene Art und Weise wider.

Rene und Michal archivieren die Objekte, recherchieren ihre Geschichte und verfolgen, welcher Häftling sie angefertigt hat. So lernen die beiden viel über einzelne Personen und deren Hintergrund. Im Rahmen der Arbeiten treten sie auch in Kontakt mit Hinterbliebenen. Sie erfahren wichtige Informationen im Austausch mit Angehörigen über das Leben und die Geschichten einzelner Inhaftierter. Gleichzeitig erfahren die Verwandten meist viel über die Geschichte der eigenen Familie. „Ich bin jedes Mal wieder bewegt, wenn wir Familien rekonstruieren, neue Informationen erhalten oder den Verbleibstatus von unbekannt auf überlebt aktualisieren. Das ist ein schönes Erlebnis, wenn ich nach Hause fahre und weiß, durch neue Erkenntisse etwas bewirkt zu haben“, sagt Rene. Michal fügt hinzu, dass auch Rundgänge und Reaktionen der Besucher einen hohen Stellenwert haben. Sie mag es durch die Inhalte „Reaktionen in Menschen auszulösen“, diese zum Nachdenken anzuregen und „das Interesse zu wecken“.

„Muss ich dort meine Nikes abgeben?“

Bei Führungen versucht Rene häufig einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Zudem will er den Gruppen vermitteln, wie schnell eine Demokratie ins Wanken geraten kann. Mit Schulklassen habe er bislang keine negativen Erfahrungen gemacht. Manche Fragen wirken im ersten Moment etwas komisch, ergeben für die Jugendlichen aber meistens Sinn: „Letztens hat mich einer gefragt, ob er seine Nikes abgeben müsste. Kleidung ist sehr abstrakt. Wir drücken uns dadurch aus. Im KZ wird sie aber instrumentalisiert und zur psychischen Gewalt benutzt.“ Während die Besuchenden die Gedenkstätte meist nach einigen Stunden wieder verlassen und neue Erinnerungen schaffen, sind Michal und Rene weiter jeden Tag mit dem Holocaust und der Vergangenheit der Gedenkstätte konfrontiert.

Nicht zum Lachen in den Keller

„Jeder oder fast jeder hat ein Thema oder einen Aspekt, der ihn besonders mitnimmt“, sagt Michal und fügt hinzu: „Da schaut einen auch niemand schief an, weil man gerade nicht mehr klarkommt.“ Zudem haben beide Ansprechpersonen, die in der KZ-Gedenkstätte tätig sind. Die Mitarbeitenden dürfen sie auch in ihrer Freizeit kontaktieren, falls sie ein Thema stark beschäftigt. Die Stimmung innerhalb des Teams ist allgemein gut. „Wir gehen nicht zum Lachen in den Keller, wir haben Teamdynamiken, auch wir haben Späße und teilweise werden Dinge auch zur Routine, die einen anfangs mitgenommen haben“, erzählt die 19-Jährige. Die richtige Balance zwischen Ernst und dem Spaß an der Arbeit ist in der KZ-Gedenkstätte genauso wichtig wie in anderen Berufen. Dennoch steigt die Wahrnehmung für gesellschaftliche Probleme wie Rassismus oder Homophobie. Michal wünscht sich „mehr Offenheit und Verständnis“ in der Gesellschaft und mehr Rücksicht auf andere Menschen, deren Schicksale und persönliche Geschichten. Rene selbst wird über die Arbeit jeden Tag bewusst, dass wir alle nicht frei von Stereotypen und Vorurteilen sind.

Besonders in den vergangenen Jahren sind wichtige Zeitzeugen gestorben und der Kontakt zu Menschen, die direkt vom NS-Regime betroffen waren nimmt ab. Deshalb versuchen beide einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. „Ich finde es wichtig zu verstehen, wie fragil eine Demokratie sein kann und Menschen außer Kraft gesetzt werden“, sagt er und nennt die Bespiele im Iran, Judenfeindlichkeit in Deutschland und Angriffe auf Homosexuelle.

Beide fordern von ihrer Generation mehr Wachsamkeit und Interesse: „Nur, weil Zeitzeugenschaft endet, bedeutet das nicht gleichzeitig, dass wir weniger wachsam mit der demokratischen Teilhabe umgehen dürfen.“

Projekt

Lieblingsobjekte von Rene und Michal

Für ein Projekt im Archiv der Gedenkstätte mussten Rene und Michal unterschiedliche Objekte des ehemaligen Konzentrationslagers archivieren und registrieren. Die Beiden haben ihre Lieblingsobjekte kurz vorgestellt.

  • Michal: „Mein Lieblingsobjekt ist ein Flugzeugmodell aus Metall, das von einem Häftling angefertigt wurde. Es ist nach der Befreiung in den Besitz eines tschechischen Häftlings namens Rudolf Luka gekommen. Mich hat dieses Objekt auf den ersten Blick fasziniert, weil es erstmal schön und unschuldig wirkt. Die Umstände waren aber grauenvoll und gewaltsam. Es macht aber auch irgendwie den namenlosen Häftling menschlich, dass er es schafft, etwas Filigranes und Schönes mit seinen Händen zu schaffen. Das ist für mich wieder ein Zeichen von Menschlichkeit.
  • Rene: „Das ist eine Skulptur, die letztes Jahr ins Archiv kam und die finde ich extrem interessant, vor allem durch meinen Fokus auf polnische Erinnerungskultur. Das ist eine Skulptur eines Häftlings aus Groß-Rosen, Flossenbürg und Dachau, der sich sehr stark im Widerstand engagiert hat und auch für Judenrettung verantwortlich war und deswegen auch ausgezeichnet wurde.

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