Alkohol, Gras, Kokain. Oxycodon, Heroin, Fentanyl. Felix* aus Vilseck hat fast zwei Jahrzehnte Drogen genommen. Bis er fast gestorben wäre. Geblieben sind ihm Angstattacken und Narben – aber auch das Wissen, auf wen er sich verlassen kann.
Felix* (alle Namen von der Redaktion geändert) ist 33, gebürtig aus Miami und wohnt in Vilseck. Und er ist seit acht Monaten clean. Von Fentanyl, Kokain, Molly, Oxycodon, Heroin. Mehr als 15 Jahre nahm er die verschiedensten Drogen, in bunten Mischungen. Begonnen hatte alles, als Felix 13 war. Erst an dem Tag, an dem er sich etwas zu viel von dem Drogenmix gespritzt hatte, wurde ihm klar, dass er aufhören muss. Sonst stirbt er.
Felix' Mutter ist Deutsche, sein Vater Amerikaner. Kennengelernt haben sie sich, wie so viele, als der Vater als Soldat in Deutschland war. Zurück in den USA dealte er allerdings mit Koks, Felix' erste Berührungspunkte mit Drogen. Die Familie wohnte in der Nähe von Miami. „Ich hatte alles, was ich wollte”, erzählt der 33-Jährige bei einem Gespräch in einem Wohnzimmer in Vilseck. Er ist groß, bestimmt 1,90 Meter, hat lange, dunkle Haare, ein blasses Gesicht. Es ist gezeichnet vom jahrlangen Konsum, auch seine Hände. Sie spielen mit einer Vape, die auf dem Tisch neben Felix' Cappuccino liegt.
In der sechsten Klasse zog er mit seiner Familie nach Key Largo, eine Insel ganz an der Südspitze von Florida. Hier probierte sich der 13-jährige Felix aus. „In dieser Zeit haben wir ganz viel Party gemacht. Also, Kokain, Xanax, ganz viel Schnaps. Es war eine ganz schöne Zeit, eigentlich.”
An seinem 17. Geburtstag brachte ihm ein Freund Oxycodon mit. Nur einen Brösel. Trotzdem: „Das hat eigentlich mein ganzes Leben ruiniert, diese Entscheidung. Wenn ich das niemals genommen hätte, wäre alles gut.” Der Freund hatte das Oxycodon von seinen Eltern geklaut. Die hatten das starke Schmerzmittel wegen eines Autounfalls verschrieben bekommen. „Super war es, oh mein Gott”, beschreibt Felix das Gefühl. Immer mehr und mehr konsumierte er, fing schließlich an, es sich zu spritzen, so viel er konnte.
... ist ein Opioid, eine Art Schmerzmittel. Es ist stärker als Morphin und macht extrem abhängig.
„Das war die Zeit, in der du die Pillen vom Doktor kriegen konntest, ohne ein Problem zu haben”, erklärt Felix. Man habe nur ein MRT vorweisen müssen, egal ob darauf etwas zu sehen war oder nicht. Viele hatten drei, vier, sieben Ärzte gleichzeitig, bekamen im Monat tausende Pillen verschrieben. Und verkauften sie weiter, für wenig Geld. Felix auch. „Die Leute haben mich dafür bezahlt, dass ich zum Arzt gehe und mir Pillen verschreiben lasse.” Meistens ging das gut, nur manchmal bekam Felix vom Arzt kein Rezept. „Und dann schuldest du dem Drogendealer 300 Dollar”, sagt er und lacht kratzig.
Mit 18 sah Felix das erste Mal jemanden Heroin spritzen. „Ich sagte noch, nein, das ist scheiße, das will ich niemals machen.” Kaum eine Woche später probierte es Felix das erste Mal. „Ich dachte, wenn ich es mache, dann nur einmal. Jetzt habe ich keine Venen mehr”, sagt er und deutet auf halbverheilte Einstichstellen, die unter den Ärmeln seines Sweatshirts hervorgucken.
... wird aus bestimmten Mohnsorten gewonnen. Das eigentliche Produkt ist die Droge Opium, weiterverarbeitet wird aber Heroin daraus.
2012 zog Felix mit seiner Mutter nach Deutschland. „Zu der Zeit hatte ich eigentlich nur ein Problem mit den Oxys, ganz schlimm. Ein bisschen Crack, ein bisschen Kokain, aber da hatte ich immer die Kontrolle.” Auch hier fand Felix vier Ärzte, die ihm Oxycodon verschrieben. Einen in Vilseck, einen in Amberg, zwei in Sulzbach-Rosenberg. Viel fragten sie nicht. Warum er die Schmerzmittel brauche? Felix schob einen Autounfall vor.
Hunderte Pillen bekam Felix im Monat von seinen Ärzten. Nur ein paar konsumierte er, vom Rest baute er sich einen Vorrat auf. Und von Methadon. „Weil ich wusste, dass der Tag kommt, an dem ich nichts mehr habe.” Die Ärzte wussten nichts voneinander, die Krankenkasse merkte auch nichts. Sie bezahlte die ganzen Pillen.
... ist eigentlich auch ein (künstliches) Schmerzmittel. Bei Drogenabhängigen wirkt es ähnlich wie Opioide, es gibt also keine oder weniger Entzugserscheinungen, aber auch kein High.
In Deutschland lernte er seine spätere Ehefrau Julia* kennen. Zusammen beschlossen sie, fest nach Florida zu ziehen. Mitsamt Felix' Vorrat. „Ich habe das einfach in meinen Koffer gepackt. Die haben am Flughafen eigentlich gar nichts gesagt.” In den USA kostete das Oxycodon inzwischen teils das Zehnfache. Von seinem Vorrat nahm Felix die Hälfte selbst, die andere Hälfte verkaufte er. Als alles aufgebraucht war, brachte er sich selbst mit dem gehorteten Methadon runter. Ohne, dass seine Frau davon wusste. „Sie wusste nur, dass ich verkaufe, nicht dass ich es auch nehme”, erzählt er. Dann gibt er zu, vielleicht habe sie schon davon gewusst, wollte aber nichts sagen. Julia konsumierte selbst gelegentlich, rauchte viel, zusammen nahmen sie Mushrooms.
Felix heuerte auf einem Fischerboot an, Julia bediente. Beide machten gutes Geld. Bis 2017 war Felix clean, „ich habe nur geraucht, ein bisschen getrunken.” Dann traf er seinen alten Freund Marc wieder. Und alles fing wieder an. Nur: „Es gibt keine Pillen mehr auf der Straße. Also schon, aber die konntest du nicht mehr bezahlen.” Stattdessen fing Felix wieder mit Heroin an. Für einen Zwanziger bekam er so viel, dass es für einen ganzen Tag reichte. Anfangs. Denn innerhalb eines Jahres konsumierte er für 300 Dollar am Tag. „Meine Frau hat immer gefragt, wo ist das Geld? Ich habe angefangen, zu lügen.” Schließlich gestand er Julia alles. „Ich habe es ihr gesagt, weil ich wusste, ich brauche Hilfe.” Fast hätte sie Felix verlassen. Sie entschieden sich aber, zurück nach Deutschland zu gehen.
Zurück in Deutschland, Anfang 2018, fing Felix ein Methadon-Programm an. Julia wurde schwanger. Und Felix bestellte Drogen im Darknet. „Wenn ich die ganzen Bitcoin, die ich damals ausgegeben habe, heute noch hätte, wäre ich Milliardär”, sagt er und lacht. Als das Baby, ein Junge, da war, hörte Felix fast auf mit den Drogen. Aber die Beziehung bröselte mehr und mehr. Im Dezember 2019 zog Julia aus der Wohnung aus. Das machte Felix zu schaffen. Sowohl Julia als auch seine Mutter drängten ihn deshalb dazu, zurück nach Miami zu seinem Vater zu gehen.
Bevor es zurück in die USA ging, machte Felix einen Entzug in einem Bezirksklinikum. Im Sommer 2020 arbeitete er kurz in Miami als Maler. Dann zog es ihn zurück nach Key Largo, heuerte wieder auf dem Fischerboot an. Eigene Wohnung, fester Job, gute Bezahlung. Methadon. Felix lernte neue Leute kennen, ging aus, zum Trinken. Fing wieder an, zu koksen. Dann war der Methadon-Vorrat aus dem Bezirksklinikum leer. „Und dann ist das Heroin wieder gekommen.”
Sein Chef auf dem Boot merkte, dass etwas nicht stimmte. Felix verlor den Job. Jetzt stand er vor einer Entscheidung: „Ich hatte noch vielleicht 1200 Dollar übrig.” Sollte er seine Miete zahlen, bis er nichts mehr hatte? Oder mit dem Geld gleich zurück nach Miami? „Naja, ich bin einfach dageblieben, bis ich ausziehen musste, zwei Wochen, denke ich. In den zwei Wochen habe ich mein ganzes Geld für Crack und Heroin ausgegeben. Und dann habe ich meinen Vater angerufen und gesagt, ich brauche Hilfe.”
Felix' Vater steckte ihn in den Entzug. Dort bekam Felix Angstattacken und Kopfschmerzen. „Aber ich habe es durchgehalten.” Kurze Zeit ging es ihm wieder – einigermaßen – gut. Bis er seinen früheren Heroin-Dealer traf. Inzwischen handelte der aber vor allem mit Fentanyl.
... ist ein künstliches Schmerzmittel, das 100 Mal stärker wirkt als Morphin. Es hat ein enorm hohes Suchtpotenzial.
Fentanyl hatte Felix schon in Deutschland probiert. Hier gibt es das Schmerzmittel aber nur als Pflaster, in den USA als Pulver, viel stärker. „Wenn du keine Toleranz hast, da bist du weg”, sagt Felix und schnipst. „Ich war jeden Tag voll drauf. Das war eine harte Zeit.”
Innerhalb von sechs Monaten entwickelte er eine massive Paranoia. „Ich habe Aliens gesehen, die waren hinter mir her. Da waren Kabel, ich habe Bohren gehört an meinen Wänden. Ich dachte, die stecken Kameras rein.” Meistens mischte er das Fentanyl mit dem Kokain. „Das Fentanyl hat mich runtergebracht, also habe ich etwas gebraucht, das mich wieder hochbringt.” Die Mischung, findet Felix, ist das beste High, das man bekommen kann. „Aber es war mein Untergang. Als ich Koks und Fentanyl zusammen angefasst habe, das war das Ende.”
Denn dann kam der Tag, an dem er ein bisschen zu viel Koks erwischte. „Ich hatte nichts, vielleicht für zwei Tage. Ich hatte 20 Dollar und ich wusste, ich brauche etwas, jetzt.” Zuerst Kokain. „Weil ich wusste, wenn ich Koks nehme, geht es mir besser, und dann kann ich Fentanyl holen.” Er spritzte sich das Kokain in den Fuß. Weil die Droge so einen Moment länger braucht, um sich voll zu entfalten, dachte Felix, es gehe ihm gut.
Er ging in einen Supermarkt, um Geld für Fentanyl abzuheben. „Und dann habe ich angefangen, es zu fühlen. Wow.” Er schüttelt den Kopf. „Mein Bauch hat angefangen, zu krampfen. Das habe ich noch nie gefühlt. Ich wusste, ich sterbe jetzt vor diesen Leuten.” Gleichzeitig musste Felix seine PIN eingeben. Er schwitzte und konnte nicht gerade stehen, macht er vor. Diese Geschichte wühlt ihn sichtlich auf, Felix gestikuliert wild beim Erzählen. Die Kassiererin gab ihm das Geld und schickte ihn nach draußen. „Ich habe gesagt, nein, ich gehe nicht raus, ich bleibe hier. Weil wenn ich sterbe, dann ist jemand hier.” Das Kokain brachte seinen Körper zum Überhitzen.
Stattdessen lief er zurück in den Supermarkt, zu einem Kühlschrank. „Da waren Shrimps und Fisch drin”, erinnert sich der 33-Jährige. „Da habe ich mich reingelegt und gesagt, es sind nur die Drogen, mir wird es gleich wieder gut gehen.” Ein paar Minuten lag er nur da und atmete. Dann holte er sich eine Gatorade und trank sie in einem Zug aus. Der Kühlschrank und die Elektrolyte in der Gatorade, denkt er, haben ihm das Leben gerettet. „Es war schlimm. Und die ganzen Leute haben mich angeschaut, was ist mit ihm. Aber niemand ist zu mir gekommen und hat gefragt, bist du okay?”
Dann ging es ihm so weit besser, dass er sich in sein Auto setzen konnte. „Ich habe mich im Spiegel angeschaut und gesagt, ich muss zurück nach Deutschland, sonst sterbe ich.” Felix fühlte sich schwach wie ein 70-Jähriger. Wog nur noch 50 Kilo. Konnte nicht schlafen. Er log, manipulierte, war nur unterwegs, um Drogen zu kaufen. „Ich hatte keine Freunde. Habe nur mit mir selbst gekämpft.”
Seit Juni 2023 ist Felix wieder zurück in Deutschland bei seiner Mutter. Und im Methadon-Programm. „Seit ich hier bin, habe ich gut 30 Kilo zugenommen. Oder mehr, 40 vielleicht.” Obwohl er jetzt nur noch Cannabis konsumiert – vom Arzt gegen die Angstattacken verschrieben – hat Felix mit den Folgen seinen fast 15 Jahre Drogenkarriere zu kämpfen. „Ich habe immer noch Träume, als wäre ich dort und würde Drogen nehmen. Ich bin noch nicht raus, immer noch nicht. Ich kämpfe immer noch jeden Tag. Ohne das Methadon und das Gras wäre ich am ausflippen.”
In acht Monaten soll er komplett clean sein. „Aber das Ding ist danach. Dann hast du Panikattacken. Dein Körper fühlt das noch. Du zahlst die Rechnungen von vorher.” Unterstützung bekommt er von seiner Mutter. „Sie tut alles, was sie kann. Sie ist da für mich, für alles, was ich brauche.” Auch seinen Vater in den USA kann er immer anrufen, wenn etwas ist. Er sei nur ein bisschen härter, ein Drill Sergeant eben.
Aber hat Felix Angst, rückfällig zu werden? „Kann passieren. Ja. Ich kann das jederzeit bestellen, wenn ich will. Bis jetzt habe ich das aber nicht gemacht, weil ich wegbleiben will. Weil ich einen Sohn habe.” Felix hat einiges aufzuarbeiten. Schicksalsschläge. Und eigene Fehler. „Ich habe ganz viel gelogen in meinem Leben, viel Scheiße gebaut. Gestohlen, alles mögliche. Aber die letzte Runde, die ich gehabt habe, mit dem Kokain und Fentanyl, das war das schlimmste. Wenn ich nicht hier in Deutschland wäre, wäre ich heute tot.”