Heuer werden deutlich weniger Schülerinnen und Schüler in Bayern über den Abiturprüfungen brüten als sonst. Wegen der Umstellung von G8 auf G9 fehlt fast ein kompletter Jahrgang. Was sind die Folgen?
Wenn in einem Monat mit der Klausur im Fach Deutsch am 29. Mai die Abiturprüfungen in Bayern starten, wird vieles so sein wie immer. Manches aber ist heuer auch ganz anders, denn der diesjährige Abiturjahrgang ist ein besonderer: Wegen der Umstellung von G8 auf G9 treten wesentlich weniger Kandidatinnen und Kandidaten an als üblich. Das hat Folgen. Die Deutsche Presse-Agentur erklärt, was es mit dem „Abi 25“ auf sich hat.
Durch die Umstellung des bisherigen achtjährigen Gymnasiums (G8) auf das neunjährige Gymnasium (G9) fällt der Abiturjahrgang heuer weitgehend aus. Statt wie im vergangenen Jahr rund 34.000 Schülerinnen und Schüler treten diesmal nur etwa 5.500 zu den Prüfungen an. In den kommenden zehn Jahren werden dann wieder 32.000 bis 38.000 Abiturienten pro Jahr erwartet.
Zum einen diejenigen, die das Abitur im vergangenen Jahr nicht bestanden haben oder zurückgetreten sind. Zum anderen Schülerinnen und Schüler, die die sogenannte Mittelstufe plus besucht und dadurch ein Jahr mehr Lernzeit für den Stoff der Mittelstufe bekommen haben, oder die nach dem Erwerb des Mittleren Schulabschlusses im Rahmen einer Einführungsklasse gezielt auf die Qualifikationsphase der Oberstufe vorbereitet wurden. Hinzu kommt eine kleine Gruppe, die im G9 an der individuellen Lernzeitverkürzung teilgenommen hat und deshalb ihr Abitur vorzeitig ablegt.
Rund 100 der bayernweit gut 430 Gymnasien wurden zu sogenannten Auffangnetzschulen deklariert, die in diesem Jahr ein letztes Mal Prüfungen nach den Bedingungen des G8 abhalten. Die Konzentration bedeutete für die Betroffenen teils größere Entfernungen und/oder Einschränkungen bei der Fächerkombination. „Nach den Rückmeldungen, die uns erreichten, wurden für betroffene Schülerinnen und Schüler jeweils gute Lösungen gefunden“, bilanzierte das Kultusministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur.
Wer die Prüfung nicht bestehen sollte, kann ausnahmsweise an einer Wiederholungsprüfung im Herbst teilnehmen. Im September/Oktober können die Betroffenen die drei schriftlichen und die beiden mündlichen Abiturprüfungen im G8-System noch einmal komplett absolvieren.
Gar nicht mal so stark, wie man vermuten könnte. Abgänger der bayerischen Gymnasien machen nur etwa ein Drittel der Erstsemester an den bayerischen Hochschulen aus. Zudem schreiben sich nicht alle direkt nach dem Abitur ein. Stattdessen verteilen sich die Absolventen eines Jahrgangs in der Regel über mehrere Semester, etwa aufgrund von Auszeiten, Auslandsaufenthalten oder Wartesemestern. Deshalb wird die Umstellung auf G9 keine großen Folgen für die Hochschulen haben. „Es gibt keine Einschnitte, weder bei Stellen noch bei Mitteln“, betonte Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) auf Anfrage.
In den letzten Jahren haben mehr als 90 Prozent der bayerischen Studienberechtigten mit allgemeiner und fachgebundener Hochschulreife ein Studium begonnen - teils aber erst mehrere Jahre nach ihren Prüfungen.
„Dass ein kompletter Jahrgang fehlt, wird Wirkung auf den Ausbildungsmarkt haben und den ohnehin schon bestehenden Azubi-Mangel zweifellos verschärfen“, urteilt der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), Bertram Brossardt. Doch der Effekt sei einmalig und dürfe nicht überhöht werden: Derzeit gingen etwa 16 Prozent der Ausbildungsstellen in Bayern an Menschen mit Hochschulzugangsberechtigung, wovon mindestens ein Viertel von den Fachoberschulen komme. Die sind von der Umstellung auf G9 nicht betroffen.
In Bayern absolvieren jährlich rund 8.000 Menschen ein freiwilliges soziales Jahr (FSJ) oder den Bundesfreiwilligendienst (BFD). Beim Paritätischen Wohlfahrtsverband, einem der großen Dachverbände von Trägern sozialer Arbeit in Bayern, liegt der Anteil der Abiturientinnen und Abiturienten aktuell bei rund 40 Prozent. Sie arbeiten zur Hälfte in Krankenhäusern, viele auch in Kitas und Schulen oder Behinderteneinrichtungen. Eine so große Zahl könne schlicht nicht mal eben ersetzt werden, betont der Verband.
Außerdem hingen Fördergelder an der Anzahl der Freiwilligen. „Kommen weniger Freiwillige, muss wegen der daraus resultierenden geringeren Förderung also Personal abgebaut werden, das für den Folgejahrgang 26/27 erst wieder gefunden und aufgebaut werden muss“, erläutert Vorständin Margit Berndl das Problem. Die Träger hoffen darauf, dass der Freistaat einen Strukturfonds zur Überbrückung des fehlenden Abiturjahrgangs einrichtet.
Letztlich, weil die Union eingesehen hat, dass die Umstellung auf den internationalen G8-Standard zum Schuljahr 2004/05 ein Schnellschuss war, der die Gymnasien über Jahre hinweg nicht zur Ruhe kommen ließ. Im Herbst 2014 begann mit der Entscheidung für das Pilotprojekt „Mittelstufe plus“ der langsame Abschied vom G8, im Frühling 2017 wurde das Zurück zum G9 zum Schuljahr 2018/19 beschlossen. Die Reform wurde von einem ganzen Bildungspaket begleitet und sollte mehr inhaltliche und zeitliche Freiräume ermöglichen, etwa durch die Reduzierung des Nachmittagsunterrichts in der Unter- und Mittelstufe.
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