Viele Bundesländer sind noch in den Ferien, aber bald kehren Schüler in Klassenräume zurück. Auch für viele Erwachsene sind es Orte, die ihnen regelmäßig begegnen - sie träumen von ihnen. Wieso?
Eine Schulglocke klingelt, eine Tür geht auf, fahles Licht. Was ist hier los, fragt man sich. Bis dann langsam ein Gefühl von der Magengegend nach oben kriecht. Oh Mist, Mathearbeit? Ich habe doch nicht gelernt!
Bammel vor einer Prüfung - das ist ein Gefühl, das Millionen Schüler in Deutschland kennen und von dem sie sich gerade erholen. Viele Bundesländer sind noch in den Sommerferien, in manchen hat die Schule auch schon wieder angefangen, allerdings ohne den großen Prüfungsdruck in den ersten Wochen. Es ist aber auch ein Gefühl, das vielen Erwachsenen sehr lebhaft zusetzt, die die Schule längst hinter sich gelassen haben. In der Nacht.
Wenn man sich umhört, weiß man: Viele Menschen träumen von Schul- und Prüfungssituationen. Ein namenloses Klassenzimmer, vorn eine Tafel, auf dem Tisch ein Blatt Papier mit Aufgaben - das sind Klassiker des Theaters, das unser Gehirn im Schlaf inszeniert.
Die große Schulverschnaufpause im Sommer ist eine ganz gute Gelegenheit, mal zu fragen: Warum ist das eigentlich so?
Wer das wissen möchte, sollte mit Michael Schredl sprechen, einem der bekanntesten Traumforscher des Landes. Ein Mann, der sehr ausgeruhte Antworten auf drängende Fragen hat. Er sagt: In einem Schultraum geht es weniger um konkrete Erlebnisse in Lehranstalten vor vielen Jahren - sondern um aktuelle, emotional relevante Dinge im Hier und Jetzt.
„Ein Traum vermischt immer aktuelle Erfahrungen mit Dingen, die man früher erlebt hat – wenn diese früheren Erlebnisse ähnliche Emotionen oder Gefühle auslösen. Träume verknüpfen aktuelles mit früherem“, erklärt der wissenschaftliche Leiter des Schlaflabors am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Die Schule ist aus diesem Blickwinkel nur eine Art Folie, auf der die aktuelle Gemütslage erkennbar wird.
„Das Grundmuster des Prüfungstraums ist, dass jemand anderes von Ihnen wissen will, ob Sie etwas draufhaben, ob Sie etwas leisten können. Das Gefühl ist: Meine Leistung wird beobachtet“, erklärt Schredl.
Es ein Gefühl, das unangenehm sein kann. Und ein Gefühl, das nicht nur in Klassenräumen zu finden ist. „Dieses Grundmuster ist etwas, das uns nicht nur in der Schule begegnet, sondern im ganzen Leben“, sagt der Forscher. „Im Berufsleben ist es nicht mehr der Lehrer, der prüft, sondern der Chef oder die Kollegen.“
Daher sei es auch möglich, dass einstige Musterschüler, die immer gut vorbereitet waren, im Erwachsenenalter davon träumen, ahnungslos vor einer Mathe- oder Englisch-Klausur zu sitzen. „Weil es eben um aktuelle Gefühle und Emotionen geht“, sagt Schredl.
„Wenn man das Gefühl hat, auf eine bestimmte Aufgabe im Job nicht ausreichend vorbereitet zu sein, kann das im Traum mit einer Situation aus der Schule vermischt werden.“ Eine Studie von Schredl ergab, dass Träume von Prüfungen unter den Top-Zehn-Themen bei Albträumen sind.
Der Wissenschaftsautor Stefan Klein, der ein viel beachtetes Buch über Träume geschrieben hat („Träume. Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit“), gehört zu jenen Menschen, die häufig von Prüfungssituationen träumen - obwohl er nach eigenen Angaben nie sonderlich viel Furcht vor Klassenarbeiten und dergleichen hatte.
Aber auch er sagt: „Ich träume davon in einer ganz bestimmten Lebenssituation. Nämlich, wenn ich mich vor einer Bewertung fürchte.“ Bei ihm ist das typischerweise der Fall, wenn der Erscheinungstermin eines Buches bevorsteht.
„Damit verrät mir mein Traum etwas über mich selbst“, sagt Klein. Tagsüber rede man sich häufig ein, dass man mit einer Situation gut umgehen könne. Aber der Traum zeige, dass sie doch beunruhige und Stress verursache. „Ein kluger Freund von mir hat er einmal gesagt: Träume sagen mir, wie es mir wirklich geht. Da ist viel dran“, sagt Klein. „Der Emotion ist der Treiber des Traums.“
Bleibt noch die Frage: Warum sucht sich diese Emotion ausgerechnet die Schule als Bühne für ihre Inszenierung aus?
Nun, sie ist eben sehr prägend für viele Menschen. Die ersten Bewertungen, die ersten Autoritäten. „Die Schule ist so präsent, weil in dieser Zeit viele Dinge zum ersten Mal geschehen sind – auch, weil da manche Probleme angefangen haben. Es ist eine Zeit mit starken Emotionen“, sagt Traumforscher Schredl.
Den Schülerinnen und Schülern, die nun wieder in die Klassenräume strömen, kann man da nur wünschen: Gute Träume.
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