„Tote Mädchen lügen nicht“, „Sex Education“, „Young Royals“, derzeit „Maxton Hall“ - Zuschauerinnen und Zuschauer stellen Schulserien oft ein gutes Zeugnis aus. Warum sind Teenie-Stoffe so ein Renner?
Schmachtende Blicke auf dem Schulflur, Cliquen, Küsse, Intrigen, Identitätsfindung, Mobbing, Ehrgeiz, erste Liebe, große Gefühle: Das scheinen die Zutaten zu sein, die Serien-Drehbücher heute brauchen, um global ein Streaming-Hit zu werden.
Derzeit beweist das die deutsche College-Serie „Maxton Hall - Die Welt zwischen uns“ mit Harriet Herbig-Matten (20) und Damian Hardung (25). In der Startwoche erzielte die Ufa-Produktion „die größte globale Zuschauerzahl eines nicht-amerikanischen Titels“ in der Geschichte von Prime Video, sie war in mehr als 120 Ländern auf Platz eins der Prime-Video-Charts.
„„Maxton Hall“ ist eine romantische Fantasie, die Serie zelebriert Genrekonventionen anstatt sie zu unterlaufen“, sagt der Medienwissenschaftler Moritz Stock von der Universität Siegen. Das Vertraute, bewusst Unwirkliche und Übertriebene macht den Reiz aus.“ Am besten bräuchten solche Serienproduktionen dann noch Szenen und Momente, die in kurzen Clips auf Plattformen wie Tiktok funktionieren, „sonst kommen sie heute beim jungen Publikum nur schwer an“. Serien versuchten, eine Wechselbeziehung herzustellen. Das sei hier gelungen. Einzelne Szenen aus „Maxton Hall - Die Welt zwischen uns“ wurden oft über Tiktok geteilt.
Bei der Serie, in der Niedersachsen zum Teil als England verkauft wird (als fiktive Privatschule Maxton Hall fungiert Schloss Marienburg in Pattensen bei Hannover), die aber auch in Oxford gedreht wurde, wissen Zuschauende schnell, was sie erwartet. Doch so berechenbar die Lovestory des arroganten Millionärssohns James Beaufort und der bodenständigen schlauen Ruby Bell zu sein scheint, so liebevoll ist die Serie gemacht - gute Cliffhanger etwa begünstigen das Binge-Watching.
Moritz Stock ist Mitherausgeber des Jugendserien-Sammelbands „Teen TV“. Der Fachmann für Teenager- und Schulserien erklärt: „Jugendserien sind figurenzentrierte Erzählungen, also weniger auf spannende Plot-Entwicklungen und überraschende Wendungen angelegt.“ Wichtiger als komplexe Dramaturgie seien Ensemble, Nähe zu Figuren, die Schauspieler.
Seit es den transnationalen Streamingmarkt gibt, haben zielgruppenorientierte Serien an Bedeutung gewonnen, wie Stock erläutert. Leute, die nicht mehr ans klassische Fernsehen gebunden sind, seien für Streaminganbieter wie Amazon, Disney und Netflix besonders wichtig. „Jugendserien sind für ein junges Publikum anschlussfähig und schnell vertraut. Auch wenn sie aus verschiedenen Ländern kommen, haben sie universelle Gemeinsamkeiten: Jungsein, Freundschaft, dazu gehören wollen, erste romantische und sexuelle Erfahrungen, Zukunftsgestaltung.“
Gleichzeitig ziehen solche Serien auch Ältere an. „Jugendserien können prinzipiell immer die Sehnsucht eines erwachsenen Publikums nach einer verlorenen Jugend erfüllen, manche Serien eignen sich dafür besser als andere“, sagt Stock. Besonders klug codiert sei zum Beispiel „Stranger Things“ - die Serie orientiere sich einerseits an der Ikonografie und den Genrekonventionen der Popkultur der 80er, spreche aber über die Figurenkonstellation und den Retro-Charme auch ein jüngeres Publikum an.
Jugendserien haben im Kern viel Verbindendes, weisen aber dennoch eine große Bandbreite auf: die aufklärerische Serie „Sex Education“ über realistische Jugendprobleme ist anders als die Horror- und Mysteryserie „Wednesday“ oder melodramatisch zugespitzte Dramen mit Krimi-Elementen wie „Élite“ und „Tote Mädchen lügen nicht“ (Originaltitel: „13 Reasons Why“). Und die sind wiederum anders als „The Umbrella Academy“, „Euphoria“, „How to Sell Drugs Online (Fast)“ oder „Der Sommer, als ich schön wurde“. Auch historisch betrachtet liegen von der Genre-Kombination her oft Welten zwischen „Beverly Hills, 90210“, „Dawson’s Creek“, „O.C., California“, „Gossip Girl“, „Skins“ oder „Glee“.
Doch zurück zu „Maxton Hall“, dem Überraschungserfolg nach dem Roman „Save me“ der deutschen Schriftstellerin Mona Kasten. Amazons Streamingdienst bestellte schon kurz nach der Veröffentlichung des Sechsteilers eine zweite Staffel. Damian Hardung („Club der roten Bänder“) und Harriet Herbig-Matten („Bibi & Tina - Die Serie“) werden damit gerade Weltstars. Sie reihen sich damit ein in eine Riege von Darstellerinnen und Darstellern, die durch Coming-of-Age-Stoffe bei Streamingdiensten zum Schwarm von Millionen weltweit geworden sind, darunter Jenna Ortega („Wednesday“), Emma Mackey („Sex Education“), Edvin Ryding („Young Royals“) und Kit Connor („Heartstopper“).
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