Ins Kino nur zum Filme gucken? Das war einmal. In den Kino-Sälen der Republik wird zunehmend gestrickt, gewickelt und geklönt. Dem Publikum gefällt's. Und es hat noch einen Nebeneffekt.
Das Licht gedimmt, leises Klappern von Nadeln und hie und da ein Plausch. Es gibt Popcorn, Kekse, manchmal Sekt und auf der Leinwand „Harry und Sally“ oder etwas anderes fürs Herz. Kino ist mehr als Filme schauen. Maschen- oder Kinderwagen-Kino, Filme mit Kaffee und Kuchen oder gar mit Hund - bundesweit lassen sich die Betreiber von Freiburg über Mannheim bis Berlin einiges einfallen, um Besucher in Kinosäle zu locken. Manch Filmtheater wird zum Szene-Treff. Ein großer Trend: Strick-Events. Was steckt dahinter?
So vereint in Berlin alle sechs Wochen der „Craft Club im Yorck Kino“ Strick-Begeisterung mit der Liebe zu Filmklassikern. „Die Strick-Events sind immer ausverkauft“, berichtet Christian Bräuer, Geschäftsführer der Yorck-Kino-Gruppe.
Das Publikum ist überwiegend weiblich, vom Alter aber bunt gemischt. Seniorinnen mit Rollator sitzen neben jungen Frauen. Man kommt zwanglos ins Gespräch. „Es war einfach sehr wohltuend“, schwärmt eine Teilnehmerin. Über das kleine Tütchen mit Maschen-Markierern freut sie sich noch heute. Das gab es als Präsent dazu.
An eine „tolle Resonanz“ und viele gut gelaunte strickende Frauen erinnert man sich auch im Stuttgarter Cinema oder in der Karlsruher Kinemathek bei den dortigen Maschen-Kino-Events.
„Stricken ist Entschleunigung“, sagt der Heidelberger Trendforscher Eike Wenzel. Es entspannt. Genau wie Filme schauen. Während der Corona-Zeit haben viele Jüngere das Stricken für sich entdeckt. Und die bleiben mit ihrem Hobby nicht gerne alleine zu Hause.
Sie verabreden sich zu gemeinsamen Events, die über Social-Media-Kanäle geteilt werden, weiß Angela Probst-Bajak, Sprecherin der Initiative Handarbeit. Das Strick-Kino biete die Möglichkeit zum Austausch und auch, etwas dazuzulernen. Beim Stricken kniffliger Sockenfersen sollte ein Film schon deshalb nicht allzu kompliziert sein.
Netflix und Co. mögen filmisch eine Konkurrenz für das Kino sein - das Bedürfnis nach gemeinschaftlichen Erlebnissen können sie aber nicht ersetzen, betont der Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF Kino). „Die Menschen haben Freude, Gleichgesinnte zu treffen“, beobachtet auch Constanze Oude Kotte vom Kino „Atlantis“ in Mannheim.
Ob in Karlsruhe, Stuttgart, München, Nürnberg, Hamburg, Hannover oder Kiel - Stricken im Kino reiht sich nach Beobachtung des Kino-Verbandes in andere Formate ein, die bereits seit Jahren bei Kino-Besuchern beliebt sind.
So gibt es in Kinos wie dem Citydome Sinsheim, UCI Luxe Potsdam oder der Hall of Fame im niederrheinischen Kamp-Lintfort eine Tradition mit Kaffee und Kuchen. Eltern mit Kleinkindern sind unter anderem willkommen im Odeon-Apollo in Koblenz, im Lumos in Nidda oder in der Karlsruher Kinemathek. Für empfindliche Kinderohren laufen dort und anderswo die Vorführungen extra mit reduzierter Lautstärke.
In einigen Kinos dürfen dem Verband zufolge sogar Hunde mit ins Kino, etwa im Union Filmtheater Bochum oder im Cineplex Berlin-Spandau. Andere Betreiber verwandeln ihre Häuser in einen Konzert- oder Opernsaal.
„Es gibt bundesweit zahlreiche engagierte Kinos, die mit abwechslungsreichen Angeboten auf die Wünsche oder Bedürfnisse ihres Publikums eingehen“, so der Verband HDF. Besonders groß ist der Wunsch, sich über ein Hobby zu vernetzen.
„Bei all diesen Reihen geht es um das „Kino Plus”“, sagt Yorck-Kino-Chef Bräuer. „Kino ist mehr als Filme gucken - es ist ein Gemeinschaftserlebnis.“ Bräuer vertritt als Vorsitzender der AG Kino Filmtheater, die vorwiegend Filme außerhalb des Mainstreams zeigen (Programmkino/Arthouse).
Kinobetreiber investieren Jahr für Jahr hohe Summen, um die Attraktivität ihrer Häuser zu steigern. Für große Sanierungen brauche es aber dringend Unterstützung, sagt Bräuer.
Auch wenn sich kleinere Kinos bei den Besuchszahlen 2024 im Vergleich zum Vorjahr besser als große Kinos geschlagen haben - insgesamt war das Kinojahr 2024 der Filmförderungsanstalt zufolge mit etwas über 90 Millionen verkauften Tickets etwas schwächer als 2023 (minus 5,8 Prozent).
Der Hollywood-Streik im Sommer 2023 sorgte für die Verschiebung einiger Filmstarts hierzulande. Auch die angespannte Wirtschaftslage forderte die Branche heraus. Auf das laufende Jahr blicken die Kinobetreiber wegen Fortsetzungen großer Erfolgsgeschichten und zahlreicher neuer Produktionen aber optimistisch.
Besondere Events oder spezielle Themen-Reihen ersetzen nicht das klassische Programm. Sie ergänzen es und sprechen Zielgruppen an, die sonst vielleicht nicht ins Kino gehen würden, sagt der HDF-Sprecher.
Wer zum Stricken ins Kino geht, entdeckt eventuell auch den einen oder anderen interessanten Film für sich, sagt Bräuer von der AG Kino. Insofern sind solche Events einfach auch gut fürs Image.
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